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PORTRAITS

Mando – Von der Seele her Schotte

7th Mrz '17

Langsam gehe ich durch die Vesperkirche und versuche herauszufinden, wer eventuell bereit wäre, mir seine Geschichte zu erzählen.
Dieses Mal helfen mir keine Sozialarbeiter. Also verlasse ich mich auf meine Menschenkenntnis und – die lässt mich im Stich. Die Frau, die ich anspreche, möchte einen Cocktail als Gegenleistung für das Interview. Ich biete an, ihr das Mittagessen zu zahlen. Sie lehnt ab.
Ich suche also weiter und entdecke einen Mann mit blauen Haaren. Er trägt eine Sonnenbrille, sein Gesicht ist ausdruckslos. Wo schaut er hin?
Er wirkt völlig fehl am Platz. Sein maßgeschneiderter Tweed-Anzug sitzt perfekt. Er sieht aus, als wäre er dem Set eines schrillen Fotoshootings für Herrenanzüge entsprungen.
Ich setze mich an seinen Tisch und stelle mich vor. Er ballt seine Hand zu einer Faust und streckt sie über den Tisch. Wir geben uns einen Box. „Ich bin der Mando“, sagt er.
Wir plaudern ein wenig über die Vesperkirche. Ihm schmeckt das Essen nicht. Selber kochen möchte er aber auch nicht.

„Mit dem Kummer magst du das nicht so, weißt du.“

„Welchen Kummer haben Sie denn?“.
„Ich habe fünf Kinder und die sind in drei Einrichtungen. Fünf Kinder, in drei Einrichtungen“.
Ich schlucke. Mit Einrichtungen meint er, so vermute ich, Kinderheime.
„Und die Mutter?“, frage ich.
Die Mutter seiner Kinder leidet unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung, erklärt er mir. 12 Jahre lang waren sie zusammen.
„Ich habe gedacht, ich habe meine zweite Seele gefunden“. Um seinen Mund herum bildet sich ein bitteres Lächeln. Dass die Geschichte kein Happy End hat, ahne ich schon. Aber was er mir dann erzählt, wird mich lange Zeit beschäftigen.

„Weil so eine Krankheit, das ist tückisch. Weil sie zerfrisst dich, aber du kriegst es gar nicht mit. Am schlimmsten ist es, wenn es gut läuft, die Beziehung. Dann ist etwas im Argen. Bei normalen Menschen, wenn etwas im Argen ist, kriegst du das ja mit. Und bei der multiplen Persönlichkeitsstörung ist es ja so: Je mehr man sich bestätigt, muss der, wo gesund, ist denken: Da ist was nicht normal. Und das habe ich nicht gemacht“.

Von der eigenen Mutter selbst misshandelt, gibt Mandos Ex-Frau die Gewalt an ihre Kinder weiter. Eines der Kinder habe sie versucht, mit einem Kissen zu erdrosseln.
„Er ist Autist geworden dadurch. Und….und er ist in einer Einrichtung. Bei den Behinderten“.
Ein Mann hat sich zu uns an den Tisch gesetzt und hört ganz offensichtlich mit. Er kommentiert Mandos Geschichte mit einem: „Oh nein, das ist furchtbar! Das kann ich gar nicht hören!“.
Mando scheint der neue Zuhörer nicht zu stören. Er hat seine Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.

„Sie hat Zigaretten ausgedrückt, an seinem Körper. Und Bilder ans Jugendamt geschickt: „Mein Mann war das.“ Ich habe das gar nicht gewusst. Sie hat auf den Knopf gedrückt. Die Bullen haben mich mit Handschellen mitgenommen.“

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Auf so etwas war ich nicht vorbereitet. Ich habe Mitleid und versuche, ihn zu trösten.
„Aber vielleicht, wenn sie älter sind, können Sie wieder Kontakt zu Ihren Kindern haben?“. Die Situation überfordert mich.
„Dann ist es zu spät, dann haben sie nicht mein Sigel, dann haben sie nicht meine Werte“, sagt er. „ Schau mal, die Kinder kriegen Brot und existieren nur. Sie haben keine Erziehung und…und die Werte von mir nicht. Ich denke, ich habe gute Werte, die ich meinen Kindern geben wollte. Aber was habe ich von Kindern, wo fremde Leute sind?“
Mando hat es schon mit dem vom Amt gestellten Jugendanwalt versucht. Der will, wie Mando sagt, nicht helfen. Seine einzige Chance sieht er in einem Anwalt, der nicht vom Amt gestellt wird. Aber der kostet mindestens 2000 Euro.
Seit drei Jahren ist Mando jetzt allein. Seine Situation momentan ist alles andere als rosig.
„Ich bin mit dem halben Bein auf der Straße und… mit halbem Bein habe ich ein kleines Zimmer jetzt bekommen.“
Das Zimmer ist in einem Wohnheim in Zuffenhausen. Dort ist Mando eine kleine Berühmtheit. Während unseres Gesprächs kommen immer wieder Leute vorbei, die ihn grüßen. Er ist erstaunt. Wenn er fragt, woher sie sich kennen, erhält er die Antwort: „Sie sind doch bei mir im Wohnheim.“
Grund für den hohen Wiedererkennungswert sind, meiner Meinung nach, die blauen Haare.
„Und wie kommt es, dass Sie blaue Haare haben?“
„Blau ist Kontrast zum Südländer.“
„Wo kommen Sie denn ursprünglich her?“

„Ich bin ein Kurde aus der Türkei. Aber von der Seele her bin ich ein Schotte.“

Ich muss lächeln: „Ein Schotte? Deswegen auch das…“
„Ja, ich habe viele englische Stoffe. Viele Anzüge. Und gebe viel Wert drauf. Cowboy Stiefel habe ich auch viele. Manche hat man mir geklaut.“
Er erzählt mir, dass er in 5-Sterne Hotels gearbeitet hat. Für maßgeschneiderte Anzüge hat er früher viel Geld ausgegeben. Mit seinem Kleidungsstil will er aber eigentlich gar nicht auffallen:
„Ich finde es schade, dass die Menschen das so reduzieren auf die Oberflächlichkeit. Weil unterm Strich sind es meine Gefühle, die mich so heraus tragen, die mich so kleiden lassen.“
„Warum trägst du eine Sonnenbrille?“

„Weil…weil ich echt traurig bin. Und das möchte ich für mich behalten“.

Den Mann mit den blauen Haaren sehe ich bei jedem Besuch in der Vesperkirche. Im Gespräch mit anderen ist er fast fröhlich. Seine wahren Gefühle bleiben hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille verborgen.