Plattensalon


Zwischen Kaffee und Straße

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PORTRAITS

Tattoo statt Ehering

1st Mai '17

Markus und ich sitzen an einem Tisch im hinteren Bereich des Café 72. Nachdem Manfred ihn gefragt hatte, ob er mit mir sprechen würde, hat Markus sofort zugesagt. Eine freundliche Aura umgibt ihn, gleichzeitig wirkt er aber extrem müde, seine Augen sind glasig und er riecht ein wenig nach Alkohol.
„Kommst du oft hier her?“, frage ich.
„Jeden Tag.“
„Und warum kommst du hier her? Zum Reden? Leute treffen?“
„Das sind alles meine Kumpels da draußen und da fühle ich mich wohl.“
Markus sitzt mit seinen „Kumpels“ meist im Vorraum, wo man rauchen kann und wo auch das Alkohltrinken von April bis November erlaubt ist.
Der gebürtige Bad Cannstatter ist Schreiner von Beruf. Momentan ist er arbeitslos. Man könnte jetzt meinen, Markus säße jeden Tag im Café 72, weil er sich sonst langweilen würde. Doch für seine Besuche in der Tagesstätte gibt es einen anderen Grund.
Als ich ihn frage, was man seiner Meinung nach über ihn wissen muss, überlegt er lange. Sehr lange. Dann sagt er stockend: „Ich…Ich bin ein lustiger Mensch eigentlich. Da kannst du alle fragen. Aber grad bin ich bisschen traurig auch weil…“ Er sieht zu Boden.
„Warum?“
„Ich bin verheiratet.“
„Ok“, sage ich. Ich bin gespannt, was Markus mir damit sagen möchte.
„Meine Frau ist gerade…im Gefängnis“, fügt er dann hinzu und mir rutscht ein „Oh Gott!“ heraus. Damit habe ich nicht gerechnet. Vor Markus habe ich noch nie jemanden getroffen, der eine nahestehende Person hinter Gittern weiß.
Ich möchte eigentlich unbedingt wissen, warum seine Frau im Gefängnis ist. Aber ich traue mich nicht, zu fragen und finde, dass mich das eigentlich auch nichts angeht.
„Schon 11 Monate lang“, sagt Markus und sieht jetzt nicht nur müde, sondern auch sehr traurig aus. „ Und wenn ich daheim bin zum Beispiel…“ Er stockt wieder. „Deswegen komme ich jeden Tag hier her.“
Markus möchte nicht alleine zuhause sitzen. Verständlich, finde ich. Um ihn von seinen Sorgen abzulenken, wechsle ich das Thema: „Und du hast hier ein Tattoo sehe ich?“
„Mhh“, er nickt. Dann krempelt er seine Ärmel zurück. „Ich bin voll tätowiert.“
Er zeigt auf einen Dämonenkopf , durch dessen geöffneten Mund eine Eisenkette quillt: „Das habe ich selber gemacht.“
Ich bewundere das Tattoo und Markus freut sich über mein Lob. Jedes seiner Tattoos hat eine Bedeutung. Und sein nächstes Tattoo ist auch schon in der Planung:
„Wo ich meine Frau geheiratet habe, habe ich gesagt: Ich brauche keinen Ring haben. Und dafür, wenn sie jetzt aus dem Knast raus kommt, dann lasse ich mich tätowieren, hier, am Finger.“
„Ja! Das ist eine gute Idee. Dann könnt ihr ein Partner-Tattoo haben“, sage ich.
„Das bleibt für immer. Weißt du, wie ich meine? Und einen Ring kannst du wegwerfen, weißt du wie ich meine?“ Markus‘ Vorfreude auf das Tattoo weicht aber schnell wieder traurigen Blicken. Wieder erzählt er, dass er seine Frau elf Monate schon nicht mehr gesehen hat. Zwar könnte er sie im Gefängnis besuchen, doch das möchte er nicht.
„Weil, wenn ich sie besuche, dann hast du deine Zeit, dann gehst du wieder. Das tut ihr weh, weißt du, wie ich meine? Und mir auch.“
„Und wann kommt sie wieder raus?“ frage ich hoffnungsvoll.
„Im Mai.“
Es ist also demnächst soweit! Ich freue mich für ihn.
„So einen Stapel Briefe habe ich von ihr“, sagt Markus und hält seine Handflächen etwa 20 Zentimeter auseinander. „Ich schreibe ihr auch immer zurück.“
Aus seiner Jackentasche zieht er einen zerknitterten Briefumschlag.
„Da, den muss ich nachher nur noch einschmeißen.“
Ich bin gerührt. „Cool. Schreibst du ihr jede Woche? Oder in welchem Abstand?“
„Hm…alle zwei Wochen. So ungefähr.“
Es gibt da einen Wunsch, den Markus seiner Frau gerne erfüllen würde. Aber er weiß nicht, wie: „Sie sagt jedes Mal: ‚Markus, schick mir ein Foto!‘ Jetzt: Wo kriege ich ein Foto her?“ Er wirkt leicht verzweifelt.
„Soll ich eins von dir machen?“, frage ich. „ Ich habe eine Kamera dabei. Ich drucke es dir aus und bringe es dir mit beim nächsten Mal.“
Markus stimmt meiner Idee zu und als ich ihm eine Woche später das Foto mitbringe, ist er zu Tränen gerührt. Von diesem Tag an entwickelt sich eine Art Freundschaft zwischen uns. Jedes Mal, wenn er mich sieht, umarmt er mich, sagt mir, dass ich ein gutes Mädchen bin. Wenn ich mit anderen Gästen des Café 72 spreche, kommt er vorbei und fragt, ob alles ok sei. Er will mit mir und seiner Frau essen gehen, wenn sie aus dem Gefängnis zurück ist.