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Zwischen Kaffee und Straße

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PORTRAITS

Thomas‘ Gartenhäuschen

26th Jun '17

„Ich seh‘ aus wie ein Knasti“, sagt Thomas. Eben habe ich ihm das Foto gezeigt, das ich von ihm gemacht habe. Er lacht. Ich auch.
„Naja, ein bisschen“, gebe ich zu.
„Egal“, sagt Thomas.
Ich bin erleichtert.
Er ist jetzt lockerer als zu Beginn unseres Gesprächs. Vermutlich liegt das daran, dass er sich seine Sorgen ein wenig von der Seele reden konnte.

Eine halbe Stunde zuvor:
„Was willst du wissen? Alles so?“ fragt Thomas mich, als wir in einer ruhigen Ecke des Cafés zusammen sitzen.
„Genau. Also du kannst mir einfach mal erzählen wer du bist, wie du heißt…“
„Ich heiße Thomas A.“
„Und wo kommst du her?“
„Ich komme ursprünglich von Tübingen. Tübingen, Reutlingen.“ Dann schildert er mir seinen kompletten beruflichen Werdegang: In Reutlingen war er in der Schule, er ist KFZ-Mechaniker, hat sogar den Meister gemacht. Er hat außerdem eine Schreiner-und Zimmermannausbildung in Pfullingen absolviert und als Maschinenbediener für Metall und Feinmechanik gearbeitet. Auch im Bereich KFZ-Mechatronik hat er Erfahrung,
„Nicht schlecht“, sage ich, während in meinem Kopf verschiedene Fragen kreisen. Warum ist Thomas hier? Er hat doch alles, um ein normales Leben zu führen. Warum ist er mit diesen Qualifikationen arbeitslos? Ist er überhaupt arbeitslos oder habe ich mich gerade von Vorurteilen zu einer Fehlinterpretation hinreißen lassen?
„Ja, und dann, wie soll ich sagen…habe ich diverse Jobs gemacht. So Produktionshelfer, ja. Und in Verpackungsfirmen habe ich gearbeitet. Überall. Von Heilbronn, Nürtingen, Metzingen, Stuttgart, Hamburg bis Frankfurt.“
Es liegt ein gewisser Stolz in seiner Stimme, während er die verschiedenen Städte aufzählt.
„Dann habe ich noch eine Ausbildung als Wachmann, Schutz-und Bodyguard gemacht.“
Thomas hat bei einer Sicherheitsfirma gearbeitet, die sogar am Stuttgarter Flughafen Einsätze hatte, erzählt er.
Dort hat es ihm nicht lange gefallen. Er wechselt zu einer Zeitarbeitsfirma. Doch die Jobs, die diese ihm bietet, empfindet er als sehr stressig: „Dann habe ich einen akuten Herzinfarkt gekriegt.“
„Was?“, frage ich, weil ich nicht ganz glauben kann, was ich da höre. Thomas ist höchstes 35.
Er sei noch immer in Behandlung erklärt er mir, muss zur Krankengymnastik und bekommt Medikamente.
Lange will er über seine Krankheit aber nicht reden. Etwas anderes ist ihm viel wichtiger: „Und jetzt bin ich auch verheiratet seit letztem Jahr. Seit über einem Monat.“ Ich sehe ihn zum ersten Mal kurz lächeln.
An Weihnachten vor zwei Jahren habe er seine Frau kennengelernt, als sie beide bei gemeinsamen Freunden zum Essen eingeladen waren.
„Aber sie hat eine Tochter gehabt, das war das Problem. Jeder hat gesagt: ‚Die Kleine und du und sie, das klappt doch nicht, das funktioniert nicht!‘“
Thomas erzählt, wie er damals dann immer öfters auf den wenige Wochen alten Säugling aufgepasst hat und wieder klingt er unglaublich stolz. Ich freue mich schon auf das Happy End seiner Geschichte, als er die Stirne runzelt und nervös hin und her blickt.
„Und jetzt bin ich gerade in der Situation…Jetzt bin ich gerade beim Haus Wartburg, genannt auch Außenbetreutes Wohnen. Da wohne ich. Möchte ich aber nicht mehr.“
Ich bin verwirrt. Hat er nicht eben erzählt, dass er verheiratet ist?
„Und wo wohnt deine Frau?“ frage ich.
„Auf der Straße.“
„Wie auf der Straße? Mit dem Kind?“
„Ja, auf der Straße.“
Ich bin geschockt, traurig, empört, fassungslos – und ich weiß wieder einmal nicht, was ich sagen soll.
Thomas erklärt, dass seine Frau sich zwar tagsüber in seinem Zimmer aufhalten darf. Nachts muss sie aber raus.
„Und wo schläft sie dann?“ *
„Bei uns im Garten. Ich habe einen Garten gekauft in der Zeit. Ein Garten mit Häuschen und allem Drum und Dran. Hab’s ihr gebaut, das Häuschen, isoliert und alles.“ Er wird lauter: „Und jetzt habe ich gesagt, ich hab die Schnauze voll!“
„Ja, ihr braucht eine Wohnung“, sage ich und fühle mich irgendwie dumm, das Offensichtliche zu sagen. Ich frage mich, warum Thomas und seine Familie sich nicht einfach das Wohnheimzimmer teilen können. Wahrscheinlich sprechen da irgendwelche Beschlüsse und Verordnungen dagegen, von denen ich keine Ahnung habe.
„Ich war bei der Stadt, Antrag gemacht. Antrag bestellt. Nichts“, sagt Thomas. Er wirkt wirklich verzweifelt. „Immer noch keine Zusage. Nichts, immer noch nichts. Und jetzt will ich halt auf die Barrikaden, ich will an die Öffentlichkeit…ich will…“ Er schaut hilflos hin und her, kann mir kaum in die Augen sehen.
„Ja und die Leute hier? Können die dir nicht helfen?“. Seine Verzweiflung überträgt sich auf mich.
„Hier, ambulante Hilfe? Die können nichts großartig machen. Die sagen nur: ‚Frauenberatung‘.“
„Ja, das kann ja nicht sein. Ich meine, ihr seid eine Familie!“
„Das Problem ist, weißt du, bevor wir verheiratet waren, war sie schon bei der Frauenberatung und die haben sie ins Hotel Ambiente geschickt, ohne die Kleine.“ Das Mädchen sei in der Zeit bei den Großeltern gewesen aber seine Frau habe es nicht ohne das Kind ausgehalten.
„Und dann hat sie eben gesagt, dass sie ne Kleine hat. Und dann haben die vom Hotel gesagt: ‚Das geht schlecht…weil einfach die Situation nicht gewährleistet wird.‘ Weißt du, einfach diese Ausreden. ‚ Gibt’s nicht, können wir nicht, geht nicht…‘ Ja, und es ist immer noch so der Fall.“
„Und jetzt wohnt sie in einem Gartenhäuschen mit so einem kleinen Kind?“ Ich frage nochmal nach, um auch wirklich sicher zu gehen, dass ich das alles richtig verstehe.
„Ja, ich bin kurz vorm Ausrasten eigentlich.“
Thomas hat eigenen Angaben nach schon alles getan, um endlich mit seiner Familie zusammenleben zu können.
„Ich habe mit meiner Sozialpädagogin geredet und sie hat uns eingetragen und hat uns nach oben geschickt auf irgendeine Liste aber sie hat gesagt, das dauert noch. Dann sage ich: ‚Ja Dauer, Dauer, Dauer. Das interessiert mich nicht!‘ Meine Frau und ich suchen privat schon Wohnungen. Wohnungen, günstige Häuser…“
Außerdem vergrößert Thomas seinen Garten: „Weißt du, dass wir da auch wohnen können. Aber großartig Hilfe kriegen wir nicht. Jobcenter lässt uns im Stich, Haus Wartburg lässt uns im Stich, die Frauenberatung lässt uns im Stich…Das sind solche Sachen, wo mich ankotzen. Da kriege ich einen Hals.“
„Wenn man denkt, einem wird geholfen und dann passiert nichts?“
„Ja! Wo Hilfe? Ich kriege keine Hilfe!“
Immerhin durfte seine Frau bei Minusgraden bei ihm im Wohnheim bleiben. Trotzdem ist Thomas sauer und fühlt sich allein gelassen und hilflos.
Seine letzte Hoffnung liegt beim Jugendamt, wo er mit seiner Frau einen Termin zur Familienberatung hat.
„Ja, und jetzt hat meine alte Firma mich angerufen oder angeschrieben. Die wollen mich wieder sehen, dass ich wieder arbeiten gehe bei denen.“
„Das ist doch gut!“, sage ich. Thomas lächelt wieder kurz.
Dann meint er: „Ich möchte einfach, dass die Leute mal aufmerksam werden und sich ans Herz fassen und sich sagen: ‚Mensch die Familie, die sind zusammen, die haben durchgemacht Vieles, gute Sachen durchgemacht, schlechte und so und jetzt kämpfen sie miteinander um etwas aufzubauen. Keiner hilft denen!‘. Es muss auch das mal geben, dass man sagt ok, man hilft denen. Irgendwie. Es ist egal wie. Ne Chance, dass wir Spenden einholen beziehungsweise Möbel, Gartensachen und so. Dass wir wenigstens den Garten mal bisschen voran kriegen oder größer machen können.“
Ich empfehle ihm verschiedene Facebookgruppen, wo regelmäßig Kinderspielzeug, Einrichtungsgegenstände und Kleidung verschenkt werden. Dabei fühle ich mich immer noch sehr nutzlos. Aber wie könnte ich ihm helfen? Ich kenne niemanden, der in Stuttgart eine Wohnung besitzt…
Trotzdem verspreche ich, mich umzuhören und frage: „Du würdest alles nehmen, oder?“
„ Zwei Zimmer, drei Zimmer, vier Zimmer. Das alles juckt mich einen Scheißdreck“, sagt er. „Hauptsache, wir sind zusammen.“
Ich bin gerührt.

*Unser Gespräch fand im Januar 2017 statt.

Ich habe versucht, Thomas zu erreichen aber leider nimmt unter der Handynummer, die er mir gegeben hat, niemand ab. Ich hoffe sehr, dass er mit seiner Familie inzwischen eine Bleibe gefunden hat.

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