Plattensalon


Zwischen Kaffee und Straße

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VESPERKIRCHE

Mittagessen für 1,20 Euro

6th Mrz '17

Vor dem Eingang der Leonhardskirche tummeln sich alle möglichen Leute. Vor allem Hundebesitzer. Viele haben ein Bier in der Hand. Eigentlich fast alle.
Ich bahne mir meinen Weg durch die mir etwas seltsam erscheinende Versammlung und betrete zum ersten Mal eine Vesperkirche.
Hinter der Eingangstüre erwartet mich ein ungewohntes Bild. Wo sonst Kirchenbänke stehen, sind Tische und Bänke aufgebaut. Sie sind voll besetzt. Links von der Eingangstüre befindet sich die Essensausgabe.

Das Mittagessen kostet 1,20 Euro.

Weiter hinten sehe ich eine Theke, an der Kaffee ausgeschenkt wird.

Es gibt viele Helfer. Als ich später die Info-Broschüre lese, weiß ich auch, wie viele: 35 Menschen helfen pro Tag, 800 Menschen wirken im Allgemeinen in der Vesperkirche mit. Sie geben Essen aus, räumen schmutziges Geschirr ab, beantworten Fragen und schenken Kaffee nach. Der ist gratis.

Ich gehe den Mittelgang hinunter.

Die meisten Leute sehen wirklich bedürftig aus. Einige wenige sitzen mit ihrer Prada Handtasche oder im schwarzen Anzug vor den Tellern mit gefüllten Paprika.
Ich entdecke auch zahlreiche alte Menschen unter den Gästen. Das habe ich nicht erwartet. Von einem älteren Herrn erfahre ich, dass seine Rente knapp ist. Wenn möglich, isst er jeden Tag in einer Vesperkirche. Mal in Stuttgart, mal in Esslingen.

Auf den vorderen Kirchenbänken liegen Jacken, Taschen und Rucksäcke.

Und Menschen, die friedlich im Stimmengewirr schlafen.
Plötzlich bildet sich eine lange Schlange von der Eingangstüre bis zu den vordersten Kirchenbänken. Dort geben Helfer Vesperbrote aus. Mit Käse oder Wurst. Immer ein paar Brote in einem durchsichtigen Plastikbeutel. Gratis.

Manche Leute packen gleich mehrere Beutel ein.

Für Freunde, die nicht in die Vesperkirche kommen können, wie ich später erfahre.

Auch wenn die Gäste bunt gemischt sind und die Stimmung locker ist, empfinde ich die Vesperkirche als Ort der offensichtlichen Armut. Besonders die auf den Kirchenbänken schlafenden Menschen mit ihren Rucksäcken und Taschen rufen bei mir diesen Eindruck hervor.
Ich verlasse die Kirche, überquere die dreispurige Hauptstätter Straße und finde mich in der Eberhardstraße wieder, wo sich Fair Fashion Boutiquen an kleine Kaffesalons und Bars reihen. Ich fühle mich, als würde ich aus einer Parallelgesellschaft auftauchen, die nichts, rein gar nichts mit dem typischen stuttgarter Daimlerfahrer zu tun hat und trotzdem, wenn auch unbeachtet, zu dieser Stadt gehört.